AUSSTELLUNG | WERKE 1978 - 2012

AUSSTELLUNG
Werke 1978 - 2012

7. Dezember 2012 — 8. März 2013
Forum Gestaltung, Magdeburg >>

Norbert Eisold, Kurator

Der Begriff Skulptur hat nach dem Zweiten Weltkrieg durch die Arbeit
von Künstlern wie Joseph Beuys oder Franz Erhard Walther radikale Entgrenzungen erfahren. Sie führten bis zum Verzichtauf die herkömmliche physikalische Präsenz als skulptural bezeichneter Werke und bis zur Verunmöglichung kritischer Aufnahme. Ohne die grundsätzliche Krisis zu ignorieren, in der sich die künstlerische Arbeit
der Nachkriegszeit generell begriff, hat Wieland Schmiedel – wie andere Bildhauer der internationalen Moderne auch – die Erforschung
der sichtbaren, physischtastbaren und kritisch nachprüfbaren Formulierung des Unsagbaren, das selten so scharf mit dem
Unsäglichen zusammenfiel wie in den Jahren nach dem Ende der faschistischen Herrschaftin Deutschland, trotz alledem weiter vorangetrieben.

Insbesondere in der Gestaltung größerer Denkmalanlagen, deren ideologische Unterminierung selbst in demokratischverfassten Gesellschaften selten gänzlich zu vermeiden ist, hat er früh Maßstäbe künstlerischer Autonomie gesetzt. So bezeichnete der Leipziger Kunsthistoriker Peter Guth 1995 Schmiedels 1982 verwirklichte Memorialanlage für das Grüne Tal in Schwerin ganz zu Recht als
„in ihrer Zurückhaltung, Glaubhaftigkeit, künstlerischen Bewältigung und Sensibilität für die Landschaft wahrscheinlich wichtigste“ von den bis 1989 im Osten Deutschlands entstandenen. Ähnlich eindrückliche, wenn auch weniger große Arbeiten folgten für Wittenberg (Quetschung, 1988) und Crivitz (Kapelle des Todesmarsches, 1988). Nach 1989 sind die Neugestaltung der Gräber für die Opfer von Krieg und Gewaltauf dem Friedhof Neuruppin (1999), das im Landkreis Parchim partiell verwirklichte, 1992 begonnene Projekt zu den so genannten Todesmarschstrecken und die Anlage für den Westfriedhof Magdeburg (1994/95) hervorzuheben, die einen der Anknüpfungspunkte für die im Forum Gestaltung stattfindende Retrospektive zum Werk des Bildhauers darstellt.

Wieland Schmiedels künstlerisches Werk lädt Betrachter nicht zur Einfühlung ein, am wenigsten zur andächtigen. Scheinbar disparat in Form und Material – wo der Bildhauer neben dem edlen Marmor aus Carrara, der Bronze und dem heimischen Sandstein mit industriellen Materialen wie Beton, Stahl, frühauch mit Polyester, neuerdings mit Blei oder Haushaltspapier arbeitet – will es, bevor es sich fühlen lässt, gedacht sein. Trotz spielerischer, heiterer, zuweilen gar humoriger Momente, die das Werk seit den 1990er Jahren immer wieder durchgeistern und jenem sinnlichen Furor, der – durch Gesetz
gleichsam heruntergekühlt– in ihm eingeprägt ist, scheint es doch eher ungefällig, in seiner Direktheit zuweilen brüskierend, verstörend.

Bei aller Wertschätzung, die Schmiedels Werk im Einzelnen gefunden hat, diese weitgehende Verweigerung der affirmativen und, wenn man
so will, ästhetisierenden Geste, ist ihm weder von der ostdeutschen Kulturpolitik noch vom freien Markt und der mit diesem verquickten Ausstellungs- und Sammlungslandschaft der Bundesrepublik
substantiell goutiert worden. Dabei ist Schmiedels Werk gerade
darin, wie es sich sehr früh bewusst gegen die Ausbildung einer sogenannten persönlichen künstlerischen Handschrift entscheidet,
um mit einem multiplen Apparat einander hinterfragen der Mittel dem um die gewalttätige Zerstörung menschlicher Existenz kreisenden Lebensthema näher zu kommen, auf der Höhe einer Zeit, die den Begriff Fortschritt aus ihrem Wörterbuch zur Kunstgeschichte glücklich gestrichen hat und die Geschichte der Moderne neu zu sehen beginnt.

Das spröd Zerklüftete, Disparate und zugleich innigst einander Verbundene der Werk-Landschaft Wieland Schmiedels zu verdeutlichen, ist eine der grundsätzlichen Intentionen der Magdeburger Retrospektive, die wichtige, zum Teil singuläre Arbeiten aus über 30 Jahren vereinigt.